Redebeitrag bei ACSD Berlin 2021 – Speach at ACSD Berlin 2021

Das erste, was jedes Kind sieht, ist eine Brust.

Wie kann es dann sein, dass diese in der Öffentlichkeit als nicht jugendfrei, als sexualisiert wahrgenommen wird?

Waehrend Menschen ohne Brüste sich fast überall ihres Oberhemdes entledigen können, werden Menschen mit Brüsten dazu angehalten, diese bedeckt zu halten.

Das ist unbequem und ungerecht.

Gerechtigkeit und Gleichbehandlung für alle Geschlechter sind in der BRD durch Artikel 3 des Grundgesetzes und das Antidiskriminierungsgesetz garantiert. Trotzdem ist eine Aktion wie unsere leider immer noch keine Selbstverstaendlichkeit.

Niemand von uns hat je darum gebeten, von Unbeteiligten sexualisiert zu werden, wenn wir eigentlich nur ohne einschraenkende Kleidung arbeiten / entspannen / der Hitze entkommen wollen. Sexualität ist lediglich das, was unter erklärtem Einverständnis aller Beteiligten passiert.

Es sollte allen freigestellt werden, was sie tragen möchten – egal, ob das nichts, ein T-Shirt oder eine Burka ist. Ohne, dass er/sie/es* deswegen sexualisiert oder auf andere Arten verurteilt wird.

Wir wollen nicht, dass anderen Freiheiten weggenommen werden, sondern, dass alle von uns die selben Freiheiten geniessen.

Diese Bekleidungssitten sind lediglich eine kulturelle Gewohnheit, die uns beigebracht wird, wenn wir noch sehr klein sind. In anderen Kulturen gelten andere Sitten. Manche sind strenger als unsere, andere sind freier. Was sie gemeinsam haben ist: sie sind keine Naturgesetze, sie sind nicht in Stein gemeiselt.

So wie sie lernen wir als kleine Kinder auch andere kulturelle Normen, zum Beispiel Geschechterrollen. Ohne es waehlen zu koennen, wird fast allen von uns eine zugeschrieben. Waehrend wir aufwachsen, spiegelt uns unsere Umwelt wider, was sie von uns in diesen Rollen erwartet. Da kleine Kinder als Saeugetiere abhaengig von ihren Bezugspersonen sind, versuchen wir meist – bewusst wie unterbewusst – , diese Rollen zu erfüllen, um die Beziehung zu unseren Bezugspersonen zu staerken.

Wir alle sind so von Sozialisation betroffen.

Doch vielen von uns, die wir hier sind, ist früher oder spaeter aufgefallen, dass wir uns in den uns zugeschriebenen Rollen nicht ganz so wohl fühlen. Oder es gab Leute in unserem Umfeld, denen es so ging…

Doch selbst dann gibt es immer noch viele Aspekte in einer jeden Persönlichkeit, die man einfach so ohne grosses Nachdenken aus seiner Kindheit übernommen hat.

In Wohnprojekten, in feministischen Gruppen und Kneipenkollektiven ist zum Beispiel immer wieder zu beobachten, dass weibliche Sozialisation die Tendenz hat, immer wieder zu Hackordnungen und Ausschlüssen zu führen. Kleine Jungs werden dagegen haeufig dazu angehalten, als Kumpels einander zu helfen.

Lasst uns davon lernen – gemeinsam sind wir nicht nur stark, sondern staerker!

Natürlich gibt es auch vieles, was sich maennlich Sozialisierte im Gegenzug abschauen können – helft einander über Gendergrenzen hinweg, inspiriert einander und lernt von einander!

Als gelerntes Sozialverhalten sind Gendernormen auch verlernbar! Es ist wichtig, dass sich jeder kontinuierlich selbst desozialisiert, und bewusst waehlt, welche Aspekte seiner Sozialisation er behalten, und welche er verwerfen möchte.

Jede Gruppe ist nur so stark wie ihr schwaechstes Glied. Je staerker jeder einzelne von uns ist, je zufriedener er, sie, es* mit sich ist, je umfangreicher eines jeden Repertoire an sozialen und technischen Fertigkeiten ist, desto staerker ist auch unsere Bewegung.

Macht euch selbst zu der Person, die ihr schon immer sein wolltet – niemand ausser ihr selbst hat die Macht, das zu tun! Gleichzeitig seid ihr selbst jeweils das, was ihr am einfachsten verändern könnt. Jeder hat die Verantwortung das zu tun – verändert die Welt, indem ihr euch verändert. Bildet Banden – geht jeden Tag einen weiteren Schritt zu einer Gesellschaft, in denen allen Gendern die gleichen Optionen und Chancen zugestanden werden!

In den letzten 150 Jahren wurde bereits viel erreicht. All dies geschah, weil Aktivist*innen daran gearbeitet haben und Schritt für Schritt einen kleinen Erfolg nach dem anderen erzielt haben. Lasst euch nicht entmutigen, denn auch wenn die politische Arbeit manchmal frustrierend ist, so ist doch jeder noch so kleine Erfolg ein Teilschritt in die richtige Richtung.

Bildet Banden – gemeinsam sind wir stark!